Trailer & Vorwort
Community of Aliens
Nur Fremde verstehen die Welt, heißt es. Wie können die Fremden aussehen, die uns verstehen? Vielleicht so wie jenes erratische Wesen im Zentrum der Performance VOID von Joshua Serafin, das von philippinischen Gottheiten inspiriert ist? Oder wie jene „alien collectives“, die Sylvia Eckermann und Gerald Nestler in einem Mixed-Reality- Projekt im Zeichen der kosmologischen Vielfalt zur Geltung verhelfen wollen?
Das donaufestival 2024 sucht nach Figuren des Übergangs, die zwischen toxischen Vergangenheiten und ungeahnten Zukünften vermitteln könnten. Es stellt eine „unmögliche“ Frage: Wie soll sich eine Gemeinschaft herstellen, die die Erfahrung von Fremdheit und (Selbst-)Entfremdung sowie den gestörten Stoffwechsel mit der Natur zur Grundlage hat? Wo finden sich künstlerische Transformationspotenziale, die einen produktiven Umgang mit tyrannischen Formen des „Othering“ wie Rassismus und Sexismus ermöglichen? Die Alien-Musik des Gospel-, Soul- und R’n’B -Zerstäubers Dawuna oder des Black Techno-Acts Speaker Music (DeForrest Brown, Jr.), die radikal queeren Bildfindungen von Johanna Bruckner oder die Parallelisierung von Roboteraufständen und historischen Riots in Südlondon 1981 in einem Video von Kibwe Tavares machen diesbezügliche Vorschläge.
Community of Aliens fragt nach einer „Gemeinschaft der Ungewählten“ (Sabine Hark), nach planetarischen Allianzen, die der Renaissance von imperialer Gewalt und den neuen politischen Unversöhnlichkeiten etwas entgegensetzen können. Christian Guerematchis Geisterfigur namens Blaq Tito erinnert etwa an die Politik der Blockfreien Staaten. Seine Videoinstallation wirkt wie ein Echo der Beziehung zwischen Ex-Jugoslawien und Ghana und illustriert das, was Frédéric Neyrat den „Communism of the Strange“ genannt hat. Julian Hetzel & Ntando Cele spekulieren über eine Absurdität namens „flüssige Empathie“ in Form eines aus Tränen gewonnenen Drinks. Eglė Budvytytė & Marija Olšauskaitė zeigen alienhafte Körper, die „ihre Angst kompostieren“. Die Medienguerilla-Gruppe Total Refusal schmuggelt ihre Botschaft über den faschistoiden Sturm auf das Kapitol in ein Videospiel, während Candice Breitz in der Videoinstallation Whiteface in der Kunsthalle Krems die Behauptung eines Rassismus gegen Weiße satirisch bearbeitet. Die wie tot wirkenden Augen der Künstlerin verweisen ihre Darstellung der weißen Vorherrschaft ins Horrorgenre. Wer sind diese weißen Zerrbilder und wer sind die anderen?
Nicht zuletzt ermutigt die Frage nach der Community of Aliens dazu, das Fremd-Sein im eigenen Land, im eigenen Kopf, im eigenen Körper mit dem Fremd-Sein der anderen in Verbindung treten zu lassen. Am Festival. Vor den Bühnen, beim Tanzen, im Gespräch. Bertolt Brecht, der Erfinder des antiillusionistischen Verfremdungseffekts im Theater, dichtete einmal: „Denn alle Kreatur braucht Hilf von allen.“
Thomas Edlinger